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Workshop: Anatomie eines Solos

Anstatt euch wie sonst allgemeine Tipps für eure Leadgitarre mitzugeben, habe ich diesmal eines meiner Soli transkribiert. Daran möchte ich euch zeigen, mit welchen Mitteln ich Spannung aufbaue, melodische Höhepunkte erzeuge und alles zu einem runden Ende führe. Kurzum: In dieser Folge will ich euch meine Leadgitarren-Philosophie am konkreten Beispiel näherbringen.

guitar workshop solo guitar
Foto: Andrew Lepley/Redferns via Getty Images

Takte 1-4: Einstieg

Für mich muss der Einstieg eines Solos catchy sein und dem Hörer mitteilen, wohin die Reise geht. Ganz im Stil des jazzig-smoothen Backingtracks habe ich mich für ein Lick aus Quint und Moll-Sexte mit George-Benson-für-Arme-Phrasierung entschieden. Im schnelleren Lick danach betone ich die None C#, die ebenfalls für jazzige Vibes sorgt. Wichtig war mir hier, mit einer Pause zwischen den Läufen genügend Luft zu lassen. Zum Einen, weil im restlichen Solo noch genug passieren wird – da wäre es dumm, gleich am Anfang das ganze Pulver zu verschießen. Zum Anderen gewinnt das, was man spielt, an Bedeutung durch das, was man nicht spielt. Stellt euch einen Redner vor, der nach seiner Kernaussage eine Pause macht, damit die Zuhörer darüber nachdenken müssen. Gerade wenn ihr ein langes Solo spielt, können Pausen eines der effektivsten Stilmittel sein.

Takte 4-8: Klimax

Genauso wie ich kein Fan davon bin, mit der Tür ins Haus zu fallen und die technisch anspruchsvollsten Läufe direkt am Anfang rauszuhauen, halte ich auch nichts davon, ewig mit ihnen hinterm Berg zu halten und für die ersten acht Takte nur Viertelnoten zu spielen. Ein gut platzierter Flitzefingerlauf nach dem Einstieg kann wahre Wunder wirken. Nach einem kurzen Vorstellungslick in Takt 4 spiele ich den schnellsten und schwierigsten Lauf des ganzen Solos daher schon in Takt 5. An der Stelle ergibt er musikalisch Sinn, doch der Zuhörer oder die Zuhörerin würde ihn wohl noch nicht unbedingt erwarten. Womit wir bei einem weiteren wichtigen Grundsatz meiner Solo-Philosophie wären: der Überraschung. Sucht immer nach Elementen, Melodien, Läufen und Phrasierungen, die vom Offensichtlichen abweichen. Ihr könnt beim Komponieren im Kopf sofort hören, wie eine Melodie enden muss? Spielt eine Variation davon. Ihr spielt eine Passage aus schnellen Läufen? Probiert’s mit einem unvermittelten, gefühlvollen Ganztakt-Bending dazwischen. Auf unterschiedliche Arten mit Erwartungshaltungen zu spielen, ist eine Kunst für sich.

Takte 8-12: And now for something completely different

18 Takte bei Tempo 99 geben einem wirklich jede Menge Platz zur freien Entfaltung. Das alles mit solistischen Licks aufzufüllen, ist ganz schön viel Arbeit – und man läuft Gefahr,  damit sich selbst und – noch schlimmer – die Zuhörerschaft zu langweilen.

Daher habe ich mich entschieden, danach einen funkigen Rhythmusgitarrenpart einzubauen. Das ist ein weiteres Überraschungselement, das den maximalen Gegensatz zum fuddeligen Speedlick davor darstellt. Die Terzen auf D- und G-Saite in Takt 8 stehen ganz in der Tradition der großen Rhythmuscracks wie Paul Jackson Jr., die Singlenotes ab Takt 9 kommen aus der klassischen Funkgitarren-Schule. Die Andersartigkeit dieses Parts wird zudem durch einen neuen Sound unterstrichen, da ich dafür vom warmen Hals-Singlecoil meiner Strat auf die seidige Zwischenposition Hals-Mitte wechsle – ein Unterschied wie Tag und Nacht. Bevor die Zuhörer jedoch zu viel Zeit haben, sich an den lockeren Groove zu gewöhnen, breche ich ihn durch einen schnellen Sextolenlauf am Ende von Takt 10 wieder aufund überführe diesen in ein Country-eskes Bending-Lick.

Takte 13-18: Grande Finale

Abwechslung kann es in einem langen Solo gar nicht genug geben. Als neue Farbe führe ich daher in Takt 13 Doublestops auf den hohen Saiten ein. Zunächst Quarten, danach eine Hammer-On-Figur mit Blue-Note. Jetzt wird es allerdings Zeit, langsam das Ende vorzubereiten. Dafür schalte ich ab Takt 15 wieder auf den bauchigen Sound des Hals-Singlecoils und spiele einen flotten Sechzehntel-Lauf mit jeder Menge Slides und Hammer-Ons, um noch einmal einen Gegensatz zum strukturiert und klar klingenden Lick davor zu schaffen.

In Takt 17 mündet das Ganze schließlich auf Quint und Terz des Grundakkords B-Moll, womit klar wird: Jetzt ist Schluss! Als Kirsche auf dem Sahnehäubchen füge ich allerdings noch einen höher gelegenen Bm7-Dreiklang in Takt 18 hinzu.

Natürlich ist all das keine allgemeingültige Blaupause, wie ein gutes Solo auszusehen hat – dafür führen viel zu viele Wege nach Rom. Aber vielleicht hattet ihr ein paar meiner persönlichen Werkzeuge – Pausen, Gegensätze, Überraschungen – ja noch nicht auf dem Schirm und könnt sie für eure eigenen Kompositionen verwenden!

Ansonsten gilt wie immer: Live well, play hard und bis zum nächsten Mal!

Text: Michael Wagner

Diesen und viele weitere spannende Workshops findet ihr in der guitar 03/2020. Holt euch die Ausgabe hier im PPV-Shop!

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